Nürnberg/Berlin. Beim diesjährigen Parlamentarischen Abend des Berufsverbandes Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten e.V. (BDA) im historischen Ambiente der Hörsaalruine der Charité standen zentrale Herausforderungen und Zukunftsperspektiven der anästhesiologischen Versorgung im Mittelpunkt. Unter dem Titel „Ist die sichere anästhesiologische Versorgung von über 10 Millionen Patienten jährlich in Zukunft überhaupt noch möglich?" diskutierten Vertreterinnen und Vertreter des BDA und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI) mit Expertinnen und Experten von Bundesärztekammer und Bundesgesundheitsministerium sowie mit den Bundestagsabgeordneten Dr. Christos Pantazis (SPD) und Prof. Dr. Armin Grau (Bündnis 90/ Die Grünen), die beide Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages sind.
Die von der Wissenschaftsjournalistin Julia Vismann moderierte Diskussion beleuchtete die vielfältigen Herausforderungen, denen sich die Anästhesiologie aktuell gegenübersieht, etwa die mangelnde Berücksichtigung der Anästhesiologie in der Leistungsgruppen-Systematik der Krankenhausreform. Unakzeptabel sind für die Vertreterinnen und Vertreter der Fachverbände auch die wirtschaftlichen Abhängigkeiten im ambulanten Bereich, die aus den politischen Vorgaben der Hybrid-DRGs entstehen. Ein weiteres drängendes Thema war darüber hinaus die unzureichende Finanzierung der Weiterbildung junger Kolleginnen und Kollegen in den bisherigen Reformbestrebungen.
Anästhesiologie als eigenständiges Fachgebiet bei Reformen berücksichtigen
Insgesamt wurde eines in der Diskussion auf dem Podium, aber auch mit dem sich rege beteiligenden Publikum immer wieder deutlich: Die politischen Reformen sind notwendig. Gleichzeitig fürchten die Fachärztinnen und Fachärzte der Anästhesiologie um die Versorgung der Patientinnen und Patienten. Diese kann ihrer Ansicht nach nur gewährleistet werden, wenn die Reformen sowohl die Bandbreite des Fachgebietes mit seinen fünf Säulen Anästhesie, Intensivmedizin sowie Notfall-, Schmerz- und Palliativmedizin berücksichtigen, als auch die Stellung der Anästhesiologie als eigenständiges Fachgebiet.
„Wir machen uns Sorgen, ob unsere Arbeit, die wir jeden Tag leisten, auch in Zukunft finanziert und gesichert ist“, leitete BDA-Präsidentin Prof. Dr. Grietje Beck den Abend ein. Für 10 Millionen Patientinnen und Patienten jährlich garantierten Fachärztinnen und Fachärzte für Anästhesiologie eine sichere Behandlung und wollen dies auch gerne weiterhin tun.
In seinem Impulsreferat betonte Dr. Markus Stolaczyk, Leiter des Referates Gesundheitspolitik beim BDA, die zentrale Rolle der Anästhesiologie in der medizinischen Versorgung. Doch genau dies habe zur unbefriedigenden Wahrnehmung des Fachgebiets in den politischen Reformen geführt: „Wir sind so wichtig in der Versorgung, dass man uns nicht dezidiert berücksichtigt, sondern die Anästhesiologie als ,Querschnittsfach‘ definiert“. Jedoch: „Das lehnen wir ab, weil es bedeutet, dass die Bedürfnisse und Strukturen unseres Fachgebietes nicht beachtet werden“.
Vielmehr sehen BDA und DGAI die Rolle ihres Fachgebietes als Schnittstellenfach: „Denn wir besetzen als eigenständiges Fach interdisziplinär und intersektoral wichtige Schnittstellen zu fast allen Fachgebieten“, unterstrich der Generalsekretär der DGAI, Prof. Dr. Bernhard Zwißler. Dass sich dies sowohl in der Definition, aber vor allem auch in den Reformvorhaben widerspiegeln sollte, war eine der wichtigsten Forderungen des Abends.
Weiterbildung zum Facharztstandard erfordert Zeit und Stellen
Weitere bezogen sich auf die geäußerten Kritikpunkte wie die Berücksichtigung der Weiterbildungskosten, die auch von zahlreichen anderen Fachverbänden gefordert wird. „Es gibt eine arbeitsplatzbezogene Stellenplanberechnung, in der alle Aufgaben berücksichtigt werden“, erläuterte BDA-Präsidentin Prof. Dr. Grietje Beck. Nicht darin enthalten sei die Weiterbildung. „Dafür sind nicht einmal ein Prozent unserer Stellen berechnet – und das, obwohl fast 50 Prozent aller Stellen in weiterbildungsermächtigten Kliniken von Assistenzärztinnen und -ärzten besetzt werden.“ Eine gute Weiterbildung zum Facharztstandard erfordere aber Zeit und damit auch entsprechende zusätzliche Vergütung.
„Zukünftig sollten die Kosten für die ärztliche Weiterbildung in den InEK-Erhebungskliniken separat erhoben werden, die Erlösanteile in einen Weiterbildungsfonds überführt, und Kliniken daraus nur gemäß des Umfangs ihrer tatsächlich geleisteten Weiterbildung vergütet werden“, so der Präsident der DGAI, Univ.-Prof. Dr. Benedikt Pannen.
Ein ebenso wichtiges Thema war die Nicht-Abbildung der Anästhesiologie in den Leistungsgruppen im Rahmen der Krankenhausreform. Die Forderung des BDA formulierte Dr. Markus Stolaczyk: „Anästhesiologische und Intensivmedizinische Kosten vor die Klammer ziehen.“ Das bedeutet: Leistungen in Anästhesie und Intensivmedizin sollten nicht über die Leistungsgruppen, sondern in voller Höhe und nicht nur anteilig als Vorhaltekosten berechnet und vergütet werden.
Regelungen zu Hybrid-DRGs machen Berufsgruppen voneinander abhängig
Letztlich bezog sich die Kritik der anästhesiologischen Expertinnen und Experten auch auf die getroffenen Regelungen zur Ambulantisierung. Die in den Hybrid-DRGs formulierte Vergütungsstruktur mache die Berufsgruppen im niedergelassenen Bereich wirtschaftlich voneinander abhängig, weil ihre Leistungen nur von einer Ärztin oder einem Arzt berechnet werden können, in der Regel sind das Operateurinnen oder Operateure, die dann wiederum Anästhesistinnen oder Anästhesisten vergüten sollen. „Anästhesisten könnten so plötzlich in Kooperation mit einer operativen Praxis zu einer Art Lohnempfänger werden“, erklärte BDA-Vizepräsident Dr. Frank Vescia und war nicht der Einzige, der in der anschließenden Debatte eine Neuregelung forderte: „Diese wirtschaftliche Abhängigkeit kann nicht im Sinne der Politik sein.“
Zum Abschluss der Diskussion betonte Jörg Karst, Vertreter der Niedergelassenen im BDA, die Bedeutung des Parlamentarischen Abends für den Verband: „Wir sind hier zusammengekommen, weil wir Ihnen Botschaften mitgeben wollen und sie darum bitten: Nehmen Sie unsere Sorgen als autarke Fachgruppe, die einen unverzichtbaren Beitrag in der Patientenversorgung leistet, mit.“
Die anwesenden Parlamentarier sicherten zu, die Stellungnahmen der Fachverbände im nun beginnenden parlamentarischen Verfahren der Krankenhausreform zu hören und zu prüfen. Christos Pantazis verwies hierbei auf das „Strucksche Gesetz“: Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist, und ermutigte die Verbände, ihre Anliegen in die Anhörungen einzubringen.