Nürnberg. Der Berufsverband Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten e.V. (BDA) hat der Bundesärztekammer (BÄK) in einem Schreiben am 02.10.2024 seine fachlich-inhaltlichen Bedenken zum Kompromiss einer Gebührenordnung für Ärzte zwischen der BÄK und dem Verband der privaten Krankenversicherer (PKV-Verband) mitgeteilt.

Hintergrund

Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ist gemäß §11 der Bundesärzteordnung eine Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmungspflicht des Bundesrates. Der Deutsche Ärztetag hat die Bundesregierungen seit 1996 in zahlreichen Beschlüssen aufgefordert eine Novellierung der GOÄ umzusetzen. Von verschiedenen Bundesministern wurde eine Einigung mit dem PKV-Verband auf einen gemeinsamen Vorschlag zur Voraussetzung für eine Novellierung gemacht . Nach einem vorläufigen Scheitern der Verhandlungen zwischen BÄK und PKV-Verband wurden das Projekt durch die BÄK im März 2016 neu aufgesetzt und 133 ärztliche Berufsverbände und wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaften in die Erstellung einer neuen GOÄ einbezogen . Der BDA war hierbei federführend für die Bereiche Anästhesie und Intensivmedizin eingebunden. Im Jahr 2018 wurde das Leistungsverzeichnis – noch ohne Gebühren – zwischen der BÄK, dem PKV-Verband und den Berufsverbänden und Fachgesellschaften konsentiert.

Darauf aufbauend wurde durch die BÄK mit den Verbänden und Fachgesellschaften eine betriebswirtschaftliche Bewertung der Leistungen erstellt. Hierbei war vorgegeben, dass es nur noch einen Gebührenwert je Leistung geben sollte, da eine neue GOÄ keine Steigerungssätze mehr beinhalten sollte. Seitens der PKV war die Abschaffung der Steigerungsmöglichkeit zur conditio sine qua non für weitere Gespräche gemacht worden. Der Deutsche Ärztetag 2017 hatte dem in einem Beschluss zugestimmt.  Erschwernisse sollten in Zuschlägen abgebildet werden, die Leistungen sollten betriebswirtschaftlich kalkuliert werden.

Ärzteeigener Entwurf 2023 an Lauterbach übergeben

Im Ergebnis resultierte im Jahr 2019 ein von der BÄK als „ärzteeigene GOÄ“ bezeichneter Entwurf. Dieser Entwurf, dessen Gebührenwerte noch nicht mit dem PKV-Verband abgestimmt waren, ist Bundesminister Lauterbach von der BÄK im Januar 2023 übergeben worden.

Kompromiss zwischen BÄK und PKV-Verband

Ausgehend von diesem „ärzteeigenen Entwurf“ hatte die BÄK die Verhandlungen mit dem PKV-Verband fortgeführt und am 11.9.2024 in einem Informationsgespräch die Grundzüge des ausgehandelten Kompromisses dargestellt. So sollen die Mehrausgaben von PKV und Beihilfe durch die neue GOÄ nach Berechnungen von BÄK und PKV 9% für die ersten drei Jahre nach In-Kraft-Treten betragen (Preiseffekt). Zum Erreichen dieser prognostizierten Ausgabensteigerungen seien laut BÄK die initialen Bewertungen der „ärzteeigenen GOÄ“ im Schnitt um 3% abgesenkt worden.

Am 12.09.2024 wurde den eingebundenen Verbänden und Fachgesellschaften nun ein Entwurf eines Kompromisses zwischen BÄK und PKV vertraulich übersandt.  Bis zum 24.9.2024 sollten grundsätzliche Einwände gegen den Kompromiss an die BÄK zurückgemeldet werden. In einem Schreiben vom 24.9.2024 wurde diese Rückmeldefrist seitens der BÄK bis zum 2.10.2024 verlängert.

In seinem Schreiben an die BÄK merkt der BDA kritisch an, dass in der kurzen Stellungnahmefrist eine umfassende Auswirkungsanalyse auf Grundlage eines Leseexemplars von über 900 Seiten kaum möglich ist. Dennoch hat der BDA diese „Kompromiss-GOÄ“ einer kritischen Bewertung unterzogen und in seiner Stellungnahme gegenüber der BÄK eine Vielzahl von Punkten aufgeführt, die jetzt nicht mehr mit dem konsentierten Entwurf der „ärzteeigenen GOÄ“ übereinstimmen und so nicht vom BDA mitgetragen werden können. Aufgrund einer Vertraulichkeitsvorgabe der BÄK können wir Ihnen leider den gesamten Entwurf der „Kompromiss GOÄ“ nicht zur Verfügung stellen. Einige der relevanten (Knack-)Punkte stellen wir Ihnen jedoch exemplarisch nachfolgend dar.

1.    Abwertung der Anästhesieleistungen und der Intensivmedizin gegenüber der „ärzteeigenen GOÄ“

Nach Analyse des BDA scheinen alle anästhesiologischen Ziffern gegenüber der konsentierten ärzteeigenen GOÄ um durchschnittlich 16,3% abgewertet, mit einer Spreizung von minus 28,3% bis minus 13%. Insbesondere erscheinen Allgemeinanästhesien bis 45 Minuten schlechter gestellt zu sein, da die Leistungszeit der „Einleitungsziffer“ auf 15 statt 30 Minuten bezogen wurde und die „Verlängerungsziffern“ geringer bewertet wurden. 
Auch der gegenüber der aktuellen GOÄ angehobene Zuschlag für ambulante Anästhesie kann dann gerade bei Narkosen bis 45 Minuten nicht mehr seine volle Wirkung entfalten. 

Etwas geringer aber noch spürbar fallen die Reduzierungen in der Intensivmedizin mit minus 8% gegenüber der ärzteeigenen Version aus. Die Grundziffer 1107 (aktuell die Nr. 435) wurde auf 120 € und damit über 27% abgesenkt.

Insgesamt kommt der BDA zum Schluss, dass die überdurchschnittlichen Absenkungen der Leistungen der Anästhesie und Intensivmedizin ohne Darlegung der zugrunde liegenden Annahmen, Begründungen und Kalkulationen nicht nachvollziehbar sind und so nicht akzeptiert werden. 
    
2.    Gestrichene Leistungen

Gegenüber der konsentierten ärzteeigenen GOÄ wurden jetzt einzelne GOÄ-Positionen ohne jegliche Rücksprache gestrichen. So wurde im Bereich der Anästhesie z.B. die oxymetrische Einzelmessung ersatzlos gestrichen. Dies ist aus Sicht des BDA unverständlich, da zwar das Routinemonitoring in den Anästhesieleistungen enthalten ist, aber anästhesieunabhängig beispielsweise im Rahmen der präanästhesiologischen Untersuchung künftig keine Pulsoxymetrie mehr berechnungsfähig wäre. Ebenfalls wurde in der Intensivmedizin eine bereits 2018 konsentierte Leistung im Bereich „Hämodynamik“, der Zuschlag für invasives Kreislaufmonitoring mittels arteriellen Katheters bei Intensivpatienten, ersatzlos gestrichen.
Der BDA lehnt die jetzt erfolgten nachträglichen Änderungen am Leistungsverzeichnis ab. 

3.    Schmerzmedizin reduziert aber insgesamt besser abgebildet als in der aktuellen GOÄ

Schmerzmedizinische und palliativmedizinische Leistungen, die in einem eigenen Kapitel abgebildet sind, sind nach ersten Analysen besser abgebildet als in der derzeitigen GOÄ. Die Abwertungen zur ärzteeigenen GOÄ betragen hierbei zwar auch ca. 16%. Dies kann jedoch durch eine bessere Bewertung der Gesprächs- und Untersuchungsleistung in den zuwendungsintensiven Bereichen kompensiert werden.

4.    Paragraphenteil

Kritisch sieht der BDA auch Regelungen im Entwurf zu einem neuen Paragraphenteil, den der BDA jetzt erstmals zur Stellungnahme erhielt. So soll nach Lesart der neuen GOÄ künftig im ambulanten Bereich jede einzelne Sachkostenposition per Beleg nachgewiesen werden, wenn die Summe der Sachkosten 50€ überschreitet. Das würde gerade für die Anästhesie in einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand münden, der nicht zu rechtfertigen ist. In seinem Schreiben hat der BDA dementsprechend eine Änderung der vorgeschlagenen Regelungen unterbreitet, die sich an der bisherigen, bewährten Regelung orientiert, nach der nur Sachkosten nachgewiesen werden müssen, die einzeln über einem bestimmten Betrag liegen.
Der BDA lehnt ebenfalls die obligatorische Einführung eines elektronischen Rechnungsformulars und die zwingend vorgeschriebene Anbindung an die Telematikinfrastruktur ab. Hiervon umfasst wären nicht nur PKV-Versicherte, sondern alle Selbstzahlerleistungen, rein privatärztlich Tätige und Leistungen, die nicht zum Leistungsumfang von privaten Versicherern zählen.
Erhebliche rechtliche Probleme sieht der BDA in der Neufassung der Vertreterregelung bei wahlärztlichen Leistungen durch die Verwendung „unbestimmter Rechtbegriffe“. Beispielsweise soll die Vertretung nur erlaubt sein, wenn „schwerwiegende Gründe“ zur Verhinderung des Wahlarztes geführt haben, ferner sollen nur noch bestimmte Ärzte als Vertreter fungieren dürfen. Der BDA sieht hier einen Rückschritt hinter die derzeit geltenden und von Gerichten per Urteil festgestellten Möglichkeiten zur Vertretung eines Wahlarztes.

5.    Zusammenfassung

Der BDA hatte sich seit dem Neustart des Projektes im Jahr 2016 intensiv in die Neuordnung der anästhesiologischen und intensivmedizinischen Leistungslegenden sowie den ärztlicherseits betriebswirtschaftlich kalkulierten Preisen eingebracht und die „ärzteeigene GOÄ“ im Jahr 2018 konsentiert. 
Die Rahmenbedingungen waren dabei vom Deutschen Ärztetag klar gesetzt: Es sollte keine Steigerung mehr möglich sein, die Bewertungen sollten betriebswirtschaftlich erfolgen und zusätzliche Aufwände in Zuschlagspositionen abgebildet werden. 
Zu dieser Vorversion steht der BDA nach wie vor. Die jetzt vorliegende „Kompromiss-GOÄ“ entspricht jedoch in vielen Teilen weder inhaltlich noch gebührentechnisch der konsentierten „ärzteeigenen GOÄ“ und wird in dieser Form vom BDA abgelehnt.  

Die BDA-Kritikpunkte als pdf können hier heruntergeladen werden. pdf 241002 PM BDA GOÄ (190 KB)